Bewegung beeinflusst unsere körperliche Gesundheit und kann unser psychisches Wohlbefinden stärken. Durch regelmäßiges Bewegen und aktives Handeln erleben und entdecken wir nicht nur uns selbst als Mensch, sondern auch unsere Umwelt. Bewegung ist also ein sehr wichtiger Baustein der menschlichen Identitätsentwicklung. Bewegung findet in verschiedensten Dimensionen und Qualitäten statt. Von kleinen teilweise unbewussten motorischen Prozessen, wie beispielsweise Atmung und Verdauung bis hin zu motivational anspruchsvollen sportlichen Herausforderungen, die willentlich gewählt wurden. Der häufig genannte Ausspruch „Use it or lose it“ deutet darauf hin, dass regelmäßiges Bewegen und somit der Einsatz von vorhandenen motorischen Kompetenzen, der Schlüssel zum Erhalt von psychischer und physischer Vitalität sein können.
Spannungsfeld Motivation und Alltag
Auch wenn uns die positiven Effekte von Bewegung vermutlich bestens bekannt sind, erfordert es von uns immer wieder neue Motivation und bewusstes Wahrnehmen, damit ausreichend Bewegung im Alltag integriert wird. Zu oft beeinflussen uns strukturelle oder persönliche Situationen, die den einfachen Zugang zu mehr Bewegung hemmen. Sei es die fehlende Zeit, die nie enden wollenden Alltagsaufgaben oder auch die psychische und physische Situation, in der wir uns aktuell befinden. Daraus entsteht ein herausforderndes Spannungsfeld. Auf der einen Seite das Wissen über die positiven Effekte von Bewegung und auf der anderen Seite der Alltag mit seinen Herausforderungen und den manchmal bequemeren Alternativen, die uns immer wieder davon abhalten, uns ausreichend zu bewegen.
Kommunikativer Zugang zur Welt
Bewegung ist Kommunikation. „Bewegungshandlungen wirken in die Welt hinein und können dort als solche von anderen wahrgenommen werden.“ (Laging, 2017, S. 16). Das „Sich-Bewegen“ kann somit als eine Handlung in einer engen Beziehung zwischen dem handelnden Menschen und seiner Umwelt betrachtet werden. Bewegung wirkt nach außen, wird aber gleichzeitig selbst wahrgenommen und erlebt. Die Bewegung ermöglicht dem aktiv handelnden Menschen eine explorative Erfahrung mit sich selbst in und mit der ihn umgebenden sozialen und materiellen Umwelt. Durch sensorische Prozesse erschließt er sich diese Welt. Zusätzlich zur sensorischen Wahrnehmungserfahrung kann Bewegung noch um die Dimensionen der kognitiven, motivationalen und emotionalen Prozesse, welche in Bewegungssituationen sehr bedeutsam sind, ergänzt werden. Bewegung sollte deshalb aus einer ganzheitlichen und multidimensionalen Sichtweise betrachtet werden und ist somit mehr als eine einfache physische Bewegungsausführung.
Bewegung ist Wahrnehmung, Erleben, Entdecken, Emotion, Begreifen, Erforschen, Entwickeln und Auseinandersetzung mit dem Individuum selbst und mit seiner sozialen und materiellen Umwelt.
Bewegung und Bildung
Bewegung ist auch eine wichtige Grundlage von Bildungsprozessen und deshalb sehr bedeutsam in der Begleitung von Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Dementsprechend ist die Verantwortung für zukünftige Fachkräfte, die am Institut für Soziale Berufe (IfSB) ihre Aus- und Weiterbildung absolvieren, in diesem Bereich sehr groß. Gelingt es in der Begleitung passende und individuelle Bewegungsangebote zu initiieren, so kann der Mehrgewinn für eine langfristige Persönlichkeitsbildung sehr groß sein.
Konzept der Psychomotorik
Um, wie oben beschrieben, die Multidimensionalität von Bewegung anzusprechen und die Vielfalt und Heterogenität der verschiedenen Personengruppen aufzugreifen, wird am IfSB das Konzept der Psychomotorik gelehrt. Es verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, um individuelle Persönlichkeitsentwicklung und soziale Teilhabe zu stärken. Es basiert auf der Annahme, dass Bewegung, Wahrnehmung und emotionale Prozesse untrennbar miteinander verbunden sind. Durch Bewegungsangebote werden individuelle Fähigkeiten und Bedürfnisse entdeckt, gestärkt und in den Alltag integriert.
Psychomotorik unterstützt die Entwicklung von Selbstkonzept, Identität und sozialer und kommunikativer Kompetenzen. Besonders bei Kindern, Jugendlichen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen kann sie helfen, Barrieren abzubauen, Zugänge zu Bewegung zu schaffen und Teilhabe zu ermöglichen. Das Erleben von individuellem Erfolg, Selbstwirksamkeit und Freiwilligkeit in Bewegungssituationen, das Bewältigen von Herausforderungen und das Erfahren von Gemeinschaft und Beziehung sind zentrale Elemente dieses Ansatzes. Psychomotorik ist somit ein wertvoller Zugang zu Bildung, Teilhabe und sozialem Miteinander.
Bewegt sein und bewegt bleiben
Durch ein hohes Maß an praktischer Selbsterfahrung in psychomotorischen Lehr- und Lernsituationen soll für die Auszubildenden am IfSB eine vielfältige und individuell an den Bedürfnissen der Teilnehmenden orientierte Bewegungserfahrung möglich gemacht werden. Dies wird im Fachbereich Heilerziehungspflege beispielsweise durch das praktische und selbstständige Vorbereiten und Durchführen von inklusiven Bewegungsangeboten im Psychomotorik-Unterricht erprobt und reflektiert. Dieses praktische Begegnen, Bewegen und Erleben soll die Auszubildenden bestärken und motivieren anhand ihrer individuellen Ressourcen und mit ihrem fachlichen Blick orientiert am Gegenüber, Bewegung im beruflichen Alltag zu integrieren und dem Thema die notwendige Bedeutung für Entwicklungsprozesse zukommen zu lassen. Bewegung soll positiv und gewinnbringend wahrgenommen und erlebt werden, um nicht zuletzt auch die zukünftigen Fachkräfte in ihren psychisch und physisch meist sehr anspruchsvollen Berufsfeldern nachhaltig zu stärken und die Freude an ihrem „bewegten“ Beruf lange und positiv aufrecht zu erhalten.
Laging, R. (2017). Bewegung in Schule und Unterricht. Anregungen für eine bewegungsorientierte Schulentwicklung. Kohlhammer. Stuttgart
Raphael Frirdich
Heilerziehungspfleger, Psychomotoriker, Sportwissenschaftler B.A., Erwachsenenpädagoge M.A., Lehrkraft im Fachbereich HEP, IfsB Ravensburg