Die Demokratie steht vielerorts unter Druck. Ein zunehmender Teil der Gesellschaft auch in Deutschland wird immer empfänglicher für menschenverachtende Positionen. Mehr als acht Prozent haben ein rechtsextremes Weltbild. Das ist das Ergebnis der aktuellen „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die vielfältigen Krisen der vergangenen Jahre führen verstärkt zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, demokratiegefährdenden Positionen und zu Nationalismus. Wir erleben: Demokratie ist keine in Stein gemeißelte Selbstverständlichkeit. Sie ist ein Gut, das es zu beschützen und zu verteidigen gilt.
Stärkung durch politische Bildung
Demokratie ist dann besonders schwach, wenn Leute sich politisch entziehen, wenn sie wegschauen und gleichgültig werden. Nicht nur die allgemeinbildenden Schulen, auch die Ausbildungsstätten für berufliche Bildung sind daher gefordert, ihren Beitrag zu leisten, damit unsere Gesellschaft ihren Weg zurück in eine wertgeschätzte und stabile Demokratie findet. Politische Bildung muss Menschen befähigen, Krisen zu verstehen, ihre Positionen zu vertreten und sich aktiv in das politische Geschehen einzumischen. Menschen, die politisch gebildet sind, sind weniger anfällig für demokratiefeindliche Einstellungen und antidemokratisches Handeln.
Starke Persönlichkeiten – starke Gesellschaft
Politische Bildung ist eine gesellschaftliche Daueraufgabe. Das Institut für Soziale Berufe leistet in den Ausbildungen dabei eine wichtigen Beitrag. Es geht nicht nur um den Erwerb fachlicher Kompetenzen, sondern in hohem Maße auch um die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Demokratiebildung muss für die Zukunft ein noch höheres Gewicht bekommen. Am IfSB treffen sich Lehrkräfte und vor allem Auszubildende aus unzähligen Nationen, was ein buntes Bild abgibt. Genauso vielfältig wie sie alle mögen ihre Beweggründe ihrer Berufswahl sein. Ein Anliegen vereint sie aber: Es geht ihnen allen um den Menschen.
Stolz auf die eigene Ausbildung
Der Mensch steht auch für die Lehrenden im Zentrum. Sie appellieren an die Politik, dass alle die gleichen Bildungschancen erhalten und so jede und jeder die Aussicht für eine solide und gute Berufskarriere erhält. Ausbildungsberufe, die für Deutschland ein besonderes Spezifikum und andernorts hochgelobt sind, sollten genauso hohe Wertschätzung erfahren wie akademische Berufe. „Ich mache eine Ausbildung“ kann dann weniger peinlich berührt, als vielmehr selbstbewusst gesagt werden. Demokratie braucht starke und selbstbewusste Persönlichkeiten.
Konkrete Bildungsbausteine
Das IfSB verfolgt zur politischen Stärkung verschiedene praktische Ansätze und Projekte im Rahmen der Ausbildungen:
- Es schafft Bewusstsein für Teilhabe, Mitbestimmung und Verantwortung aller Menschen, als Grundlage aller Ausbildungen, sei es im Bereich Erziehung, Teilhabe oder Pflege.
- Selbstverständliche Unterrichtsinhalte sind Themen wie Menschenwürde, Menschenrechte, Menschenpflichten, universelle Grundwerte und Gemeinsinn.
- Die Vermittlung von Biografiearbeit als wichtige Basis für das Verständnis von Menschen.
- Die Pflegeschule in Bad Wurzach ist dem Netzwerk „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“ beigetreten. Mindestens 70 Prozent der Schulmitglieder haben in einer geheimen Abstimmung erklärt: „Ich werde mich aktiv gegen Diskriminierungen, insbesondere Rassismus, einsetzen.“ Sie erklärten damit auch: Wenn es zu Gewalt und Diskriminierungen an ihrer Schule kommt, dann werden sie nicht wegschauen und schulterzuckend vorbeigehen, sondern sich aktiv mit der Situation auseinandersetzen.
Aktuell setzt sich das IfSB mit unterschiedlichen Formen der Erinnerungskultur auseinander. Konkreter Anlass ist die Geschichte des Schulhauses in Ravensburg im Dritten Reich. Katholische Verbände und Jugendorganisationen haben hier mutig Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet, die das Gebäude als NSDAP-Zentrale einnehmen wollten. Ihre Botschaft: Mut zum Widerstand – ein positives Narrativ.
Festes Fundament: selbstbestimmtes Denken und Handeln
Die angehenden Fachkräfte im Bereich Erziehung etwa bereiten Kinder auf das Zusammenleben in einer vielfältigen, demokratisch verfassten Gesellschaft vor. Das erfordert, dass sie selbst demokratische Erfahrungen machen, dass ihre Bedürfnisse und Ideen ernst genommen werden und sie als gleichberechtigter Teil einer sozialen Gemeinschaft akzeptiert sind. Je intensiver die Auszubildenden demokratische Prozesse selbst erleben und wertschätzen, umso mehr Wert werden sie diesen beimessen. Bei der Lösung von Fragestellungen und Problemen der Praxis ermutigen die Lehrkräfte des IfSB die Auszubildenden, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu denken und eigene Lösungen zu entwickeln.
Tägliche Verinnerlichung
Erst wenn grundlegende demokratische Werte wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit und Umgangsformen wie Anerkennung oder Kooperationsbereitschaft tief im Alltagsleben verankert sind, lässt sich laut dem US-amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey (Dewey 1993) überhaupt von einer Demokratie sprechen. Werte und (Sozial-)Kompetenzen sind für die moderne Demokratie ebenso essenziell wie die institutionelle Umsetzung des Selbstregierungs- und Gleichheitsprinzips. Diese Werte müssen tagtäglich – auch beim gemeinsamen Lehren und Lernen mit Erwachsenen – aufs Neue erprobt und verinnerlicht werden.
Füreinander und miteinander handeln
Zu demokratischen Prozessen gehört die Fähigkeit zum reflektierten und konstruktiven Umgang mit Widersprüchen. Es muss in diesem Zusammenhang vermittelt werden, dass es sich beispielsweise bei Demokratie keinesfalls um einen harmonischen Idealzustand handelt, sondern dass die sich aus unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen ergebenden Auseinandersetzungen und Konflikte als Normalzustand zu betrachten sind.
Von den Lehrenden erfordert dies eine Grundhaltung der Achtung der Personen- und Ressourcenorientierung, damit sie im Spannungsfeld zwischen Zugewandtsein, Erklären und Konfrontieren Erfahrungs- und Lernräume gestalten. Dadurch können sowohl vielfältige Bedingungen und Fakten entstehen als auch Werte und Fähigkeiten entwickelt werden. In der Folge handeln Menschen füreinander und miteinander und lösen Herausforderungen und Probleme gemeinsam.
Demokratische Zukunft braucht fachliche Ressourcen
Um unsere Demokratie auf sichere Beine zu stellen, braucht es gut ausgebildete Personalressourcen wie Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen. Auch Ausbildungsstätten brauchen dafür eine entsprechende finanzielle Ausstattung, um dem Anspruch von Bildungsgleichheit und Bildungsungerechtigkeit gerecht werden zu können. Diese Investitionen reichen weit in die Zukunft und sind im Sinne einer stabilen Demokratie unbenommen gut angelegt.
Weitere Informationen und Literatur:
Andreas Zick, Beate Küpper, Nico Mokros (Hrsg.): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Franziska Schröter
Heidi Fischer