Digitale Bildungsprozesse am IfSB

Im Hinblick auf Bildungsprozesse geht es nicht darum, einen Mehrwert digitaler Medien zu begründen, sondern den Wert einer digitalen Lernkultur in einer digitalen Gesellschaft zu erkennen und Vorurteilen gegenüber der Digitalisierung in Bildungsprozessen zu begegnen. Digitalisierung ist inbegriffener Bestandteil einer Gesellschaft und muss auch als Lösung für komplexe (Bildungs-)Systeme gesehen werden.

Wechselwirkungen beachten

Die gesellschaftliche Funktion der Digitalisierung liegt in der Bearbeitung einer gesellschaftlichen Komplexität, die Unsicherheit und Ambiguität, sprich Mehrdeutigkeit, hervorruft. Aus soziologischer Perspektive lässt sich diese Komplexität in Bezug auf das Thema digitale Bildung auf mehreren Ebenen abbilden. So müssen auf der individuellen Mikroebene adäquate medienpädagogische Konzepte entwickelt und individuelle Lernbedürfnisse berücksichtigt werden. Auf der organisatorischen Meso-Ebene sind Kosten und Personalmaßnahmen für neue Bildungstechnologien und digitale Infrastrukturen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind neue Lehrkonzepte als „Blended Learning“ oder „Flipped Classroom“ zu organisieren. Auf der Makro-Ebene schließlich beeinflussen politische Maßnahmen  wie etwa der „Digitalpakt Schule“ und datenschutzrechtliche Vorgaben die praktische Umsetzung von E-Learning-Szenarien. Individuelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen müssen also in ihrer Wechselwirkung betrachtet werden, wenn es um die Vorbereitung und Durchführung von E-Learning-Maßnahmen geht.

Umgang mit den drei Grundthemen

Wie geht man nun mit diesen drei Grundproblemen Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit um? Zunächst einmal sollte man sich als Lehrkraft darüber im Klaren sein, dass eine digitale Anschaffung für die Bildungseinrichtung nicht sofort und für immer fehlerfrei funktionieren kann. Ambiguitätstoleranz bedeutet, ungewisse Chancen und Risiken im Prozess der Digitalisierung auszuhalten. Vorhersehbarkeit und Erklärbarkeit organisatorischer Entscheidungen reduzieren das Gefühl der Unsicherheit. Entscheidend für den Umgang mit Komplexität ist, dass Lehrende in der Lage sind, die entscheidenden Merkmale und Zusammenhänge in der digitalen Lehre zu erkennen und irrelevante Details zu ignorieren. Der Physiker Dirk Brockmann fasst dies unter dem Begriff „ganzheitlicher Reduktionismus“ zusammen. Übertragen auf den Einsatz digitaler Medien heißt das dann: Nicht jede Darstellungsfunktion oder Aktivität auf einer digitalen Tafel oder einer Lernplattform muss gekannt werden und zur Anwendung kommen. Es geht vielmehr um die Frage, wie die digitalen Medien für einen gelingenden Unterricht genutzt werden können.

Tools für zeit- und ortsunabhängige Setting

Unsere Lernplattform Moodle mit integrierten virtuellen Konferenzsystemen, unsere digitalen Tools wie Padlet oder die Fobizz-Plattform bieten die Möglichkeit, zeit- und ortsunabhängige Lernsettings zu gestalten, in denen Studierende selbstorganisiert und kooperativ an Lerninhalten arbeiten können. Noch in der Testphase befinden sich Brillen der Virtual-Reality (VR). Hier beschäftigen sich einige Lehrende und Studierende derzeit insbesondere mit Unterstützungs- und Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Assistenzbedarf beziehungsweise mit dem Einsatz von VR-Brillen in heilpädagogischen, pflegerischen und therapeutischen Settings.

Möglichkeiten der Teilhabe

Der Erfolg digitaler Bildungsprozesse hängt nicht nur von der digitalen Ausstattung ab, sondern auch von den Möglichkeiten der Teilhabe. Mit der Einführung der Assistenzsoftware Eye-Able® auf unserer Homepage und unserer Lernplattform Moodle ist uns ein wichtiger Schritt in Richtung barrierearme digitale Teilhabe gelungen. Mentorenprojekte, wie zum Beispiel das Projekt Lernpatenschaften zwischen angehenden Heilpädagoginnen beziehungsweise Heilpädagogen und angehenden Pflegekräften, sind wesentliche flankierende Maßnahmen für Teilhabeprozesse. Hier werden zusätzliche Unterstützungsleistungen für digitales Lernen erbracht. Digitale Teilhabe erfordert auch, gängige Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen abzubauen und Zugänge zu digitalen Bildungsprozessen zu ermöglichen.

Digitalisierungsprozess gekoppelt mit persönlichen Kontakten

Der Psychologe Gordon Allport erinnert uns daran, wie wichtig es ist, Vorurteile in der Gesellschaft durch geeignete Kontaktbedingungen und Begegnungsmöglichkeiten abzubauen. Wenn es einen Ort gibt, der es Menschen mit Assistenzbedarf ermöglicht, aktiv am Digitalisierungsprozess mitzuwirken und gleichzeitig positive Kontakte zu erfahren, dann ist es aktuell das PIKSL-Labor. PIKSL – in der Art eines digitalen Labors mit inklusiv-sozialräumlichen Anspruch – vereint (digitale) Teilhabe und Teilgabe von Menschen mit Assistenzbedarf. Daher ist es besonders erfreulich, dass ab September 2023 in Kooperation mit dem PIKSL-Labor der Stiftung Liebenau in Friedrichshafen eine Praxisstelle für eine Studierende der Heilpädagogik ermöglicht wurde.

Aufklären, ausprobieren, akzeptieren und aktiv werden

Eine Herausforderung und Chance für zukünftige Bildungsprozesse sehen wir in der Künstlichen Intelligenz (KI). Hier ist es einerseits wichtig, die Grundlagen der KI (incl. maschinelles Lernen und neuronale Netze) zu kennen und andererseits die Grenzen, Möglichkeiten und zukünftigen Entwicklungen in der Bildung einschätzen zu können. Im Rahmen einer Zusatzqualifikation, die der Autor dieser Zeilen absolviert hat, wurden Anwendungsbeispiele und Ideen für den Einsatz von KI im Unterricht und konkrete Unterrichtsmaterialien mit ChatGPT und dem Fobizz-KI-Assistenten entwickelt. Wie könnte nun ein begleitender und eben nicht verbietender Umgang mit dieser rasanten Entwicklung für unser Institut aussehen? Die Wirtschaftsinformatikerin Doris Weßels empfiehlt die „4 A“: aufklären, ausprobieren, akzeptieren und aktiv werden.

Text: Sascha Schmid (Institut für Soziale Berufe Ravensburg)

Literaturtipps

Mit Menschen arbeiten
Lambertus Verlag, Freiburg im Breisgau; Auf dem Weg zu einer digitalen Lernkultur; Heidi Fischer, Sascha Schmid, S. 280;

routenplaner-digitale-bildung.de
Diverse Beiträge als Orientierungshilfe zum Themenbereich Digitale Bildung.

e-teaching.org
Ein deutschsprachiges Informationsportal rund um das Thema digitales Lehren und Lernen in der Hochschulbildung. Es bietet zahlreiche Materialien, Toolbeschreibungen und Praxisbeispiele.

app.find-my-tool.io
Eine umfangreiche Sammlung digitaler Tools für den Bildungsbereich


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